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Zwangsarbeiter im Bombenkrieg

Die alliierten Luftangriffe auf deutsche Städte forderten schätzungsweise 300 000 bis 500 000 zivile Opfer. Darunter waren viele Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die meist keinen Zugang zu Luftschutzkellern hatten. In vielen Interviews zählen die Bombardements zu den schrecklichsten Erinnerungen an die Zwangsarbeit. Im folgenden Themenfilm berichten eine Zeitzeugin und zwei Zeitzeugen, wie sie die Bombenangriffe auf Rzeszów (Polen), Oranienburg, Hamburg und Berlin erlebt haben.

Zwangsarbeiter im Bombenkrieg. Ausschnitte aus den Interviews mit Stanisława I., René Š. und Antoni G., Archiv „Zwangsarbeit 1939-1945“, Dauer 9:26 Minuten, Konzept und Schnitt: Kamil Jaworski, Matthias Krause und Cord Pagenstecher, © Freie Universität Berlin 2016

Zwangsarbeiter im Bombenkrieg

Die Luftangriffe der Alliierten waren eine Reaktion auf die militärische Aggression der deutschen Luftwaffe, die bereits am 1. September 1939 das polnische Wieluń, später auch Warschau, Rotterdam und die britischen Städte bombardiert hatte. Bei diesen Bombenangriffen kamen Tausende Zivilisten ums Leben. Die britischen Bombenattacken, die sich zunächst nur auf die taktischen Ziele im Deutschen Reich konzentrierten, wurden 1942 mit der Strategie des „moral bombing“ auf die Mittel- und Großstädte ausgedehnt, mit dem Ziel, die Kampfmoral der deutschen Bevölkerung zu brechen und den Krieg schnell zu beendigen. Die nach dem Kriegsvölkerrecht zu schonende Zivilbevölkerung sollte deshalb mit getroffen werden. Im August 1942 griffen auch die US Army Air Forces in den Luftkrieg über Europa ein. Während die amerikanische Luftwaffe die deutschen Städte tagsüber angriff, fanden die Attacken der Briten in der Nacht statt.

Jeder Zivilist im Luftkrieg lebte gefährlich, doch besonders die Juden, Zwangs- und „Ostarbeiter“ sowie Kriegsgefangene, denen aufgrund der Luftschutzraum-Ordnung vom 18.9.1942 der Zugang zu den Luftschutzbunkern untersagt wurde. Die meisten Zwangsarbeiter hatten lediglich einen notdürftig bedeckten Splitterschutzgraben.

Neben den Brandbomben wurden auch Splitterbomben verwendet, die die Zwangsarbeiter besonders fürchteten. Durch die Splitter verwundet, wurden sie oftmals nicht behandelt und starben an ihren Verletzungen.

Viele Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurden im Luftschutz eingesetzt und mussten Trümmer und Leichen räumen, meist mit unzureichender Ausrüstung und unter Lebensgefahr.

Neben die eigene Todesangst trat nicht selten auch Mitleid mit der deutschen Zivilbevölkerung, deren Leid vor allem die zu Aufräumarbeiten abkommandierten Ausländer hautnah erlebten. Angesichts der zerstörten deutschen Wohnhäuser oder Fabriken konnten aber auch Gefühle von ausgleichender Gerechtigkeit aufkommen, bedeutete doch jeder Luftangriff auch ein Zeichen der bevorstehenden Befreiung nach der deutschen Niederlage.

Biografische Daten

Stanisława I., polnische Zwangsarbeiterin und KZ-Überlebende

  • 1923 geboren in Rzeszów (Polen)
  • 1939 Abschluss der Grund- und Oberschule (sog. kleines Matura)
  • 15.05.1943 Verhaftung der ganzen Familie durch die Gestapo und Transport in ein SS-Arbeitslager in der Nähe von Pustków Dębica
  • 29.07.1944 Evakuierung des Pustków-Lagers, Häftlingstransport nach Auschwitz-Birkenau
  • Anfang August 1944 Frauentransport nach Ravensbrück
  • Gynäkologische Experimente
  • Arbeit außerhalb des Lagers bei Bodenverbesserungsarbeiten und im Holzzuschnitt
  • September 1944 Arbeit in der Produktion von Gasmasken für die Auerwerke (Außenlager Oranienburg)
  • 15.03.1945 Flucht während der Bombardements auf Oranienburg, erneute Gefangennahme und Verlegung ins Männerlager Sachsenhausen
  • 22.03.1945 Evakuierung des Lagers und Todesmarsch
  • 02.05.1945 Befreiung durch britische und polnische Soldaten
  • Rückkehr nach Polen
  • 1946 Heirat
  • bis 1972 Arbeit als Buchhalterin
  • Engagement für unterschiedliche Verbände und Organisationen von KZ-Überlebenden
  • Interview za197 »
  • Dauer 4:15 h, Datum: 12.02.2006, Sprache: Polnisch

René Š., Zwangsarbeiter aus Tschechien

  • 1923 geboren in Prag (Tschechien)
  • 1942 Abitur und Verpflichtungsbescheid zur Zwangsarbeit in Deutschland (Hamburg und Kiel)
  • 1942 Ausbildung als Feuerwehrmann beim Luftschutzdienst und Sanierungstraining (Blindgänger unschädlich machen)
  • 1944 Rückkehr nach Prag und Einsatz beim Luftschutz bis zum Kriegsende, Inhaftierung wegen eines Konflikts mit dem Kuratorium (Organisation nach dem Vorbild der Hitlerjugend)
  • 1945-49 Jura-Studium an der Prager Karlsuniversität
  • 1949-51 Militärdienst
  • 1951-85 Arbeit bei der Firma Metrans
  • 1990-97 Repräsentant der japanischen Reederei Mitsui Lines
  • 1997-99 Selbständiger Berater
  • 1999 bis heute Arbeit bei der Firma Farmtrans Logistic
  • Veranstaltungen in Zusammenarbeit mit der Dresdener Brücke-Most-Stiftung an deutschen Schulen in Hamburg, Kiel und Bonn über seinen Zwangsarbeitseinsatz in Deutschland
  • Interview za458 »
  • Dauer: 3:57 Stunden, Datum: 13.07.2005, Sprache: Tschechisch

Antoni G., polnischer Zwangsarbeiter

  • 1922 geboren in Kartuzy (Polen)
  • 1936 Abschluss der Grundschule und Ausbildung an der von der Gesellschaft für Seehandel geführten Handwerkerschule in Gdynia
  • 1939 Abschluss als Schlossermeister und Evakuierung der gesamten Familie nach Ostpolen
  • Flucht aus Angst vor der Roten Armee in den Heimatort Kartuzy
  • 1940 Zwangsarbeit in Elbląg (Elbing) für die Baufirma Falck und später für das Unternehmen John Schmitz in Potsdam
  • 1944 Verlegung nach Berlin-Falkensee und Zwangsarbeit für Siemens
  • 26.04.1945 Befreiung durch die Rote Armee
  • Flucht aus dem sowjetisch besetzten Berlin und Heimkehr
  • Bis 1982 Arbeit im Straßenbau
  • Interview za195 »
  • Dauer: 3:37 Stunden, Datum: 29.11.2005, Sprache: Polnisch