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"Sklavenarbeit": War die NS-Zwangsarbeit Sklaverei?

Am 1. Oktober 1946 endete der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess, der die "Sklavenarbeit" als zentrales Kriegsverbrechen der Nationalsozialisten verurteilte. Im folgenden Video sprechen zwei Zeitzeugen und eine Zeitzeugin über Zwangsarbeit als Sklaverei. Sie verwenden den Begriff "Sklave" in unterschiedlichen Bedeutungen.

"Sklavenarbeit": War die NS-Zwangsarbeit Sklaverei? Ausschnitte aus den Video-Interviews mit den Zwangsarbeitern Wasyl B., Bloeme E. und Claudio S., Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945", Dauer 06:57 Minuten, Schnitt: Tobias Kilgus, Alexandra Neumann, Cord Pagenstecher, © Freie Universität Berlin 2011
Bildquelle: Internet-Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945"

"Sklavenarbeit": War die NS-Zwangsarbeit Sklaverei?

"Die Polen sollen die Sklaven des Großdeutschen Weltreiches sein“, verkündete Generalgouverneur Hans Frank 1939. Die systematische Ausbeutung von über 12 Millionen Menschen hatte viel gemein mit anderen historischen (und aktuellen) Formen der unfreien Arbeit und des Sklavenhandels. Jedoch unterschied sich das NS-System von antiken oder amerikanischen Sklavenhaltergesellschaften, etwa indem die jüdischen KZ-Häftlinge letztlich vernichtet werden sollten – sie zählten "less than slaves“ (B. Ferencz).

Einige der nationalsozialistischen Sklavenhalter wurden bald nach Ende ihrer Herrschaft juristisch verfolgt: Die als "slave labour programme“ bezeichnete millionenfache Verschleppung der Zivilbevölkerung zur Zwangsarbeit war ein zentraler Anklagepunkt des Nürnberger Prozesses. Vor 65 Jahren, am 1. Oktober 1946, erging das Urteil, u. a. gegen Fritz Sauckel und Albert Speer.

In den Jahrzehnten danach wurde die Zwangsarbeit dagegen als übliche Kriegserscheinung und "Fremdarbeit“ bagatellisiert. Erst in den 1990er Jahren wurde der Begriff Sklavenarbeit wieder verwendet.

In der Debatte um eine Entschädigung wurde mit der Unterscheidung zwischen Zwangsarbeit und Sklavenarbeit vor allem das schreckliche Schicksal der KZ-Häftlinge hervorgehoben. Der Vergleich deutscher Unternehmen mit Sklavenhaltern unterstützte nicht nur die Entschädigungsforderungen, sondern half Überlebenden und Kommentatoren auch, die ungeheure Größe und Brutalität des nationalsozialistischen Arbeitseinsatzes einordnen zu können.

Auch in der individuellen Erinnerung der Überlebenden spielt der Begriff "Sklavenarbeit" eine Rolle. Manche, wenngleich bei weitem nicht alle ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter beschreiben sich selbst als "Sklaven“, vor allem, wenn sie über Demütigungen und die ihnen vorenthaltene Gerechtigkeit sprechen.

Literatur:

  • Buggeln, Marc, Were Concentration Camp Prisoners Slaves? The Possibilities and Limits of Comparative History and Global Historical Perspectives, in: International Review of Social History 53 (2008), S. 101-129.

  • Cord Pagenstecher, "We were treated like slaves." Remembering forced labor for Nazi Germany, in: Gesa Mackenthun, Raphael Hörmann (Hrsg.), Human Bondage in the Cultural Contact Zone. Transdisciplinary Perspectives on Slavery and Its Discourses, Münster 2010, S. 275-291. mehr »

  • Günter Saathoff, Anerkennung der NS-Zwangsarbeit als Sklaverei und die Frage der Entschädigung - Reflektionen im Kontext der Menschenrechtsdebatte. Referat auf dem Forum "Verbot der Sklaverei" bei der Internationalen Konferenz "Das Recht, das uns zu Menschen macht" (20.–22.11.2008 in Nürnberg). mehr »

 

Biografische Daten

Wasyl B., ukrainischer Zwangsarbeiter, lebt in England

  • 1923 Geburt in Wasilkovo (Rayon Spola)
  • 1939 Beginn einer Ausbildung zum Chemiker, nach Kriegsbeginn 1941 Abbruch der Ausbildung
  • 1942 Verschickung nach Deutschland zur Arbeit in der Aluminiumfabrik Naabwerk (Oberpfalz)
  • 1945 Wasyl  B. verlässt nach einem Bombenangriff die Fabrik und lässt sich auf einen Bauernhof versetzen  
  • Nach Kriegsende kommt er in einem UNRRA-Lager unter.
  • 1947 folgt er dem belgischen Angebot, dort in den Kohlegruben zu arbeiten.
  • 1948 Rückkehr nach Deutschland, im selben Jahr Umzug nach England
  • 1950 und 1966 Heirat, er bleibt mit seinen insgesamt 10 Kindern in England und arbeitet in einem Industriebetrieb.

Bloeme E., jüdische Auschwitz-Überlebende aus den Niederlanden

  • 1926 Geburt in Amsterdam in einer jüdischen Arbeiterfamilie
  • 1942 Einberufung zum Arbeitseinsatz, Flucht und Tätigkeit im linken Widerstand in Amsterdam
  • 1943 Verhaftung und Deportation nach Auschwitz
  • 1944 Zwangsarbeit in einer Panzer- und Schneekettenfabrik im KZ-Außenlager Liebau (Schlesien)
  • 1945 Befreiung am 8. Mai, Rückkehr nach Amsterdam
  • 1950 Heirat, sechs Kinder
  • 1964 - 1999 Arbeit an der Universität von Amsterdam als Psychologin

Claudio S., italienischer Militärinternierter (IMI)

  • 1920 Geburt in Genua
  • 1939 Studium der Geologie
  • 1943 Leutnant der königlichen italienischen Armee unter Marschall Badoglio. Nach dem Sturz Mussolinis am 25.7. und der deutschen Besetzung Italiens am 8.9.1943 von deutschen Truppen gefangen genommen
  • 1943 bis 1945: Kriegsgefangenschaft in Deutschland und dem besetzten Polen, u. a. in den Lagern Sandbostel, Tschenstochau, Chelm, Deblin, Oberlangen, Duisdorf, Köln, Forellenkrug und Wietzendorf. Verweigerung der Anwerbung zu faschistischen Truppen
  • 1944 Straflager und Zwangsarbeit bei der Fallschirmfabrik Glanzstoff & Courtaulds in Köln, Krankenhausaufenthalt
  • 1945 Befreiung in Wietzendorf / NIedersachsen; Rückkehr nach Italien und Fortsetzung des Studiums
  • 1950 Heirat, als Geologe für die Ölfirma AGIP im In- und Ausland tätig
  • 1980 Rente. Seither zahlreiche Publikationen über die italienischen Militärinternierten
  • Interview za126 »
  • Dauer: 5:31 Stunden, Datum: 07.06.2005, 10.12.2005, 25.02.2006, Sprache: Italienisch